Chronische Schmerzen, welche zu Veränderungen des zentralen Nervensystems geführt haben, verursachen dort immense Umstellungen auf sehr vielen Ebenen. Die Wahrnehmung von Schmerz und seine Verarbeitung erfolgt ausschließlich im Gehirn.
Wieso passieren solche Veränderungen? Unser Nervensystem, angefangen bei den Nerven, die unsere Hände, Füße und unser Gesicht versorgen, über unser Rückenmark und unser Gehirn, hat eine sehr große Anpassungsfähigkeit. Damit reagiert es auf sich ändernde Einflüsse, um eine größtmögliche Einstellung auf innere und äußere Gegebenheiten zu gewährleisten. Treten nun über einen längeren Zeitraum in höherer Intensität unangenehme Wahrnehmungen auf, so führt dies zu Anpassungen unseres Schmerzleitsystems. Man kann sich dies wie im Training vorstellende häufiger man eine Bewegung ausführt, um so leichter kann man sie, da man sein Bewegungssystem „gebahnt hat“, ebenso „bahnen“ sich Schmerzen ihren Weg. Aus diesen Gründen werden wir immer empfindlicher dafür und reagieren bisweilen für unsere Umwelt übertrieben. Unter bestimmten Voraussetzungen sind dann Medikamente zur alleinigen Behandlung oder als Unterstützung einer solchen unabdingbar. Walter Jens: „Da braucht man seine Frau am dringendsten, einen verständnisvollen Arzt und die Chemie. Antidepressiva sind ein ungeheurer Segen.“ Diese Aussage fällte Walter Jens nach der erfolgreichen Behandlung seiner schweren Depression mit Medikamenten.
Im Zusammenhang mit der Schmerztherapie fallen immer wieder Begriffe wie Abhängigkeit oder „das brauche ich dann immer“. Chronische Schmerzen sind ein eigenes Krankheitsbild, die einer eigenen, speziellen Behandlung bedürfen. Der Diabetiker ist auch nicht süchtig im Sinne der Abhängigkeit nach Insulin, sondern er benötigt es, um das Ungleichgewicht in seinem Körper wieder in die Balance zu bringen. Genauso verhält es sich in der Schmerztherapie.
Medikamente, die vom Morphin abstammen, sind nicht grundsätzlich schlecht, sondern richtig eingesetzt sehr heilsam. Nicht umsonst war Morpheus in der griechischen Sagenwelt der Gott des guten Traumes. Es gilt, das richtige Präparat in der optimalen Dosierung zu finden. Wir haben heute viele kurz und schnell, mittellang und sehr lange wirkende Präparate. Manche Pflaster wirken bis zu sieben Tagen. D.h. für eine wirklich individuelle Behandlung stehen sehr viele Möglichkeiten zur Auswahl, um alle Facetten des individuellen Schmerzerlebens behandeln zu können und dem Patienten einen größtmöglichen Komfort zu ermöglichen.
Werden die Medikamente geschickt abgestimmt, können Nebenwirkungen minimiert werden. Bei den morphinartigen Medikamenten bleibt jedoch immer ein Hang zum erschwerten Stuhlgang bestehen. Aber auch dies kann meist zufriedenstellend behandelt werden. Eine weitere Gruppe von Medikamenten ist die, welche die einschießenden und elektrisierenden Schmerzkomponenten behandelt. Diese richtig dosiert und richtig begonnen, führen meist rasch zu einer deutlichen Besserung dieser Schmerzbilder und häufig finden die Patienten rasch wieder zu einem erholsamen Schlaf.
Last but not least sind jene Medikamente zu nennen, welche ursprünglich zur Behandlung von Depressionen entwickelt wurden. Im Verlauf der Zeit stellte man fest, dass diese in sehr niedriger Dosierung eingesetzt, in einer Dosis, in der kein Effekt gegen eine Depression erzielt werden kann, langfristig sehr gute Effekte auf eher dauerhaft brennende Schmerzbilder haben. Auch hier kommt es darauf an, die richtige Dosierung zu finden und dann die Patienten durch die Anfangszeit so zu begleiten, dass eine erfolgversprechende Therapie nicht zu früh beendet wird.
Bei all diesen Medikamenten gilt, dass zu Beginn der Therapie oder wenn die Dosierungen gesteigert oder reduziert werden, die Aufmerksamkeit beeinträchtigt ist und sich somit das Führen von Kraftfahrzeugen oder das Ausüben von gefährlichen Tätigkeiten verbietet. Ist die Dosierung stabil und die Aufmerksamkeit da, so kann man wieder Auto fahren.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Medikamente eine wichtige Säule der Schmerztherapie sind. Durch die unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten und Angriffspunkte sowie die sehr variablen Wirkzeitspannen dieser Medikamente kann eine individuelle Therapie für die einzelnen Patienten geschneidert werden. Hierbei gilt es, die Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten und eine gute Begleitung sicherzustellen.
Dr. med. Stefan Brugger Facharzt für Anästhesie, Schmerztherapie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Palliativmedizin in Praxis Dr. Krimmel & Reisch Stegen und St. Peter
(Artikel aus „Gesundheit & Wellness“, Ausgabe 04/2016)